BAG: Kündigungsverbot wegen Schwangerschaft beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin

Das Bundesarbeitsgericht hält nach wie vor daran fest, dass die maßgebliche Schwangerschaftszeit zur Berufung auf das Kündigungsverbot nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin liegt.
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08.04.2024 09:04 Uhr
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BAG: Kündigungsverbot wegen Schwangerschaft beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin

Das Bundesarbeitsgericht stellt mit Urteil vom 24.11.2022 (Aktenzeichen 2 AZR 11/22) klar: Das Kündigungsverbot für schwangere Frauen aus § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) beginnt 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin.

 

Um was ging es in dem zugrundeliegenden Fall?

Eine Arbeitnehmerin geriet mit ihrem Arbeitgeber in Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Diese war der Arbeitnehmerin am 7.11.2020 zugegangen. Sie klagte hiergegen im Rahmen einer Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht. Am 26.11.2020 wurde bei der Arbeitnehmerin ihre Schwangerschaft festgestellt und der voraussichtliche Entbindungstermin auf den 05.08.2021 datiert. Die Schwangerschaft wurde durch den Anwalt der Arbeitnehmerin am 03.12.2020 dem Gericht und am 07.12.2020 dem Arbeitgeber mitgeteilt.

 

Ohne Kenntnis kein Sonderkündigungsschutz?

Vor den zuständigen Vorinstanzen brachte der beklagte Arbeitgeber vor, dass die Kündigung wirksam sei. Ihm sei die Schwangerschaft zum Zeitpunkt der Kündigung nicht bekannt gewesen und die Arbeitnehmerin habe ihn auch nicht gemäß § 17 Abs. 1 MuSchG zwei Wochen nach Zugang der Kündigung über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt. Zudem sei die Mitteilung der Schwangerschaft auch nicht „unverzüglich“ nach Kenntnis nachgeholt worden.

Die klagende Arbeitnehmerin hielt dem entgegen, sie sei zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 07.11.2020 bereits schwanger gewesen. Von der Schwangerschaft habe sie erst später sichere Kenntnis erhalten. Die verspätete Mitteilung an den Arbeitgeber sei unverschuldet, aber jedenfalls noch unverzüglich erfolgt.

 

Was entschied das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG B-W)?

Da die Klägerin keinen ausreichenden Beweis vorbringen konnte, dass sie am 07.11.2020 tatsächlich schwanger war, rechnete das Gericht vom voraussichtlichen Entbindungstermin am 05.08.2021, 266 Tage zurück. Das LAG B-W stellte hierbei auf die durchschnittliche Schwangerschaftsdauer ab und kam so auf einen Beginn der Schwangerschaft am 12.11.2020. Die Kündigung der Arbeitnehmerin habe somit vor dem kündigungsschutzrechtlich erforderlichen Schwangerschaftsbeginn gelegen und sei demnach wirksam.

 

Dann entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG)

Während das LAG B-W in zweiter Instanz auf eine Schwangerschaftsdauer von 266 Tagen abstellte, sah dies das BAG anders: Das BAG verwies klarstellend auf seine ständige Rechtsprechung und rechnete mit  280 Tagen Schwangerschaftsdauer, ausgehend von der äußerst möglichen zeitlichen Grenze einer Schwangerschaftsdauer. Das BAG stellte klar, dass die Mitteilung im Rahmen eines Schriftsatzes in einem Kündigungsschutzprozess ausreichend sei und die Arbeitnehmerin nicht allgemein das Risiko des rechtzeitigen Zugangs der Schwangerschaftsmitteilung trage. Im vorliegenden Fall erachtete das BAG es noch als unverzüglich, wenn die Klägerin ihren mit der Vertretung im Kündigungsschutzverfahren beauftragten Anwalt sechs Tage nach Kenntnis von der Schwangerschaft kontaktiert.

 

Fazit: Arbeitnehmerinnen können sich 280 Tage vor dem voraussichtlichen Entbindungstermin auf den Sonderkündigungsschutz des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG berufen.